Crabbel im Interview mit Hochseilartist Oliver Zimmermann
Crabbel: Lieber Herr Zimmermann, wie und im welcher Alter kamen Sie zum Hochseiltanz?
Oliver Zimmermann: Recht spät. Ich habe mit 22 Jahren eine Ausbildung in der Circusschule Brüssel (heute ESAC) angefangen. Wir hatten dort unter anderem Seiltanzunterricht. Die Arbeit auf dem Hochseil wurde dort nicht unterrichtet. Mit 26 Jahren habe ich dann ein erstes Mal eine lange Strecke auf dem Seil zurückgelegt. Mit 28 Jahren habe ich dann tatsächlich mit dem Hochseil angefangen. Ich wollte einen Auftritt zu einer 30 Jahr Feier für Freunde machen. Ich hatte kein Material, aber durch einen glücklichen Umstand habe ich einen Sponsor gefunden, der mir einen Greifzug und ein Seil zu Verfügung gestellt und gleichzeitig einen zweiten Auftritt in Auftrag gegeben hat. Mit diesem Material habe ich dann auf einem Feld angefangen zu trainieren. Seitdem habe ich nicht mehr damit aufgehört. Das heißt seit 16 Jahren stehe ich jetzt auf dem Hochseil.
Crabbel: Was wollten Sie als Kind eigentlich werden und warum?
Oliver Zimmermann: Als Kind hatte ich überhaupt keine Ahnung vom Circus und auch keinen Bezug dazu. Ich wollte Taucher werden oder Entdecker/Abenteurer. Die Filme von Jaques-Yves Cousteau haben mich sehr beeinflusst. Ich hatte den Wunsch zu reisen, die sieben Weltmeere kennen zu lernen. Später war dann eine andere Idee Feuerwerker zu werden. Aber diese Idee hat sich schnell zerschlagen, es gab zu viele Auflagen dafür.
Crabbel: Haben Sie ein Vorbild? Was fasziniert Sie an dieser Person?
Oliver Zimmermann: Eine Person im speziellen habe ich nicht als Vorbild. Menschen die für etwas passioniert sind, die ihr Leben, ihren Weg gewählt haben. Diesen Weg entschlossen und geradlinig gehen. Eine Person fällt mir dazu ein: Patrice Franceschi. Er ist seit einigen Jahren mit einem Segelschiff (la Boudeuse) unterwegs, auf der Reise um entfernte Menschen und Welten zu erkunden. Mit einem starken Engagement für die Kultur und Umwelt.
Crabbel: Haben Sie keine Angst wenn sie oben auf dem Seil stehen? Was geht Ihnen dabei durch den Kopf?
Oliver Zimmermann: Wenn ich auf dem Seil stehe habe ich keine Angst – keine lähmende Angst zumindest. Es geht immer etwas Angst mit, aber eine Angst die Aufmerksam werden lässt und die Grenzen setzt ohne zu blockieren. Ein wichtiger Teil meiner Arbeit ist es diese Angst zu überwinden um weiter gehen zu können, um nicht stehen zu bleiben. Es ist von Mal zu Mal sehr verschieden was mir durch dem Kopf geht. Meistens bin ich absolut im Augenblick, wachsam. Ich nehme alles auf was um mich herum passiert. Wenn ich nicht zu hoch laufe versuche ich mit dem Publikum in Kontakt zu bleiben, auf das Publikum zu reagieren. Wenn ich in großer Höhe laufe, bin ich wie in einer Blase, alleine mit meinem Seil – wie mit einem Partner.
Crabbel: Gehen Sie immer mit Sicherung in die Höhe?
Oliver Zimmermann: Fast immer. Auf jeden Fall wenn ich in großer Höhe laufe. Das hilft mir entspannter zu sein. Es hilft auch dem Publikum entspannter zu zusehen und die Magie des Momentes genießen zu können. So kann das Publikum eine schöne Erinnerung mitnehmen. Manchmal würde eine Sicherung mehr Unsicherheit bedeuten. Wenn ich in geringer Höhe arbeite (5-7 Meter) und Figuren machen will, dann würde eine Sicherungsleine meine Bewegungen behindern und ich müsste die Sicherungsleine immer im Bewusstsein haben. Das macht es schwieriger sich auf die eigentliche Arbeit zu konzentrieren. Die beste Sicherung ist sich über seine Kapazitäten bewusst zu sein und seine Grenzen zu kennen. Ganz bewusst zu fühlen was in diesem Moment möglich ist. Einmal wäre ich fast abgestürzt – einzig und allein aus dem Grund das ich mich selbst überschätzt habe und zu stolz war mir einzugestehen das dieser Aufstieg, in diesem Moment nicht im Bereich meiner Grenzen war.
Crabbel: Wenn Sie zurückblicken: Welcher Auftritt ist Ihnen besonders in Erinnerung geblieben?
Oliver Zimmermann: Es gibt zwei Auftritte die für mich ganz besonders waren: Der eine war ein Lauf in Streitberg, zur Hundertjahrfeier der Entdeckung der Binghöhle 2005. Es war die längste Stecke die ich selbst aufgebaut habe. 330 Meter in einer Höhe von 50 Metern. Die Kultur- und Tourismusbeauftragte der Region hatte die Idee und hat sie gegen viele Widerstände durchgesetzt. Schließlich haben dann doch alle mitgearbeitet und das Fest zu einer sehr runden Sache gemacht. Was mich dort beeindruckt hat, war die Energie die vom Publikum kam. In dem ganzen Ort waren ca. 5000 Menschen die gespannt und absolut konzentriert zugesehen haben. Als ich mich das erste Mal hingesetzt habe, konnte ich, trotz der großen Entfernung, die Menschen sehr gut wahrnehmen. Ab diesem Moment fühlte ich mich wie getragen von allen diesen Menschen.
Der zweite Auftritt war in Tournai/Belgien 2011 zur Eröffnung des Circusfestivals „La Piste aux Espoirs“. Der Direktor hatte seit einiger Zeit den Wunsch einen Seiltänzer, für sein Festival, zu haben. Ich habe ihm den Vorschlag gemacht über den großen Marktplatz zu laufen. Das war sehr ambitioniert, hat aber gleich Anklang gefunden. Auch er hatte gegen viele Widerstände anzukämpfen. Das Seil sollte zwischen einem Kirchturm und dem Stadtturm gespannt werden. Zwei denkmalgeschützte Gebäude. Viele Menschen haben an der Realisierung mitgearbeitet. Es hat sich sogar ein Orchester und Chor von 60 Personen für den Auftritt zusammengefunden. Am Tag des Auftritts hatten wir klaren Himmel und einen wunderschönen Sonnenuntergang, was Anfang März in Belgien eine echte Ausnahme ist. Der Platz war voll mit Menschen die mich auch wieder mitgetragen haben.Jeder Auftritt hat seine Besonderheit und bleibt meistens in guter Erinnerung. Zwei weitere Erlebnisse haben sich sehr eingeprägt: Eine Tournée mit „Clowns ohen Grenzen“ durch Flüchtlingscamps in Jordanien und ein Festival in der Circusschule in Battambang/Kambodscha. Was dort besonders war, ist die Dankbarkeit der Menschen mit denen ich gearbeitet habe und der Menschen die mir zugesehen haben. Alles was sich in ihren Augen widerspiegelt, die Träume, die Freude und die Möglichkeit für einen Moment aus dem rüden Alltag dort entfliehen zu können.
Crabbel: Wie würden Sie sich in kurzen Sätzen beschreiben?
Oliver Zimmermann: Ich fühle mich als einen ruhigen Menschen mit einem gewissen Hang zum Abenteuer. Mein Beruf ist eine Berufung geworden – oder umgekehrt. Das schafft mir ein gutes Gleichgewicht in meinem Leben. Ich habe viele Freiheiten und bin glücklich mit dem was ich tue.
Crabbel: Wo sehen Sie sich in fünf Jahren?
Oliver Zimmermann: Ich sehe mich immer noch auf dem Seil. An anderen Orten mit anderen Menschen. Ich möchte mit anderen Artisten zusammenarbeiten. Ich habe ein Projekt mit vier Schlagzeugern, ich würde uns gerne auf Tournée sehen in und außerhalb von Europa. Ich habe die Hoffnung dass es dann noch Arbeit bzw. Gelder für die Kultur gibt, damit ich weiterhin dem Publikum schöne Momente bereiten kann und die Artisten aller Richtungen weiterarbeiten können.
Crabbel: Was ist für Sie das Schönste an Ihrem Beruf?
Oliver Zimmermann: Das schönste an meinem Beruf ist das ich viel reise, Länder und Menschen kennen lerne. Überall dort wo ich hinkomme, komme ich mit Menschen zusammen für die meine Arbeit etwas außergewöhnliches ist und die dankbar dafür sind einen schönen Moment als Erinnerung mit zu nehmen. Ich komme an Orte die den meisten Menschen verschlossen bleiben. Kirchtürme, Dachböden, Schlossdächer, Industriedenkmäler usw. Ich habe sehr viel über die Geschichte und Architektur gelernt, viele Orte von oben gesehen. Für mich ist es ein echtes Privileg Seiltänzer zu sein.
Crabbel: Vielen Dank!
Weitere Informationen und Buchung:
www.crabbel.de/Oliver-Zimmermann
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